20 Jahre Rheumaakademie – Wolfang L. Gross erinnert sich

Geboren in Frankfurt, absolvierte Prof. Dr. Wolfgang L. Gross seine klinische Weiterbildung an den Universitäten Gießen und Kiel, wobei er sich frühzeitig der Klinischen Immunologie und Entzündungsforschung zuwandte. 1989 übernahm er den neu eingerichteten Lehrstuhl für Rheumatologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Damit verbunden war die Leitung des Klinikums in Bad Bramstedt, das als bettenführende Abteilung des Universitätsklinikums fungierte. Zwischen 2001 und 2011 gehörte Professor Gross dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Klinische Immunologie (DGRh) an, sowohl als Schatzmeister als auch Präsident. Im Interview zum 20-jährigen Jubiläum der Rheumaakademie spricht er über deren Anfänge.

 

Wie verlief Ihr Weg in die Rheumatologie?

Prof. Gross: Mit der Ausbildung zum Internisten in der Kieler Uniklinik (1974–89) vertiefte sich mein Interesse an Entzündungserkrankungen, das in der Postdoktorandenzeit (Klinische Immunologie Uni Gießen 1973–74) geweckt worden war. Im DFG-Schwerpunkt Autoimmunität (1976) unterstützt, begann ich schwerpunktmäßig Rheumapatienten zu betreuen. Durch die Entdeckung der ANCA bei Vaskulitiden (1985) konzentrierte ich mich zunehmend auf diese sehr seltenen, organ- und lebensbedrohlichen Systemerkrankungen. Mit dem Rheumatologie-Lehrstuhl (Lübeck/Bad Bramstedt 1989) konnten die Forschungsvorhaben mit der klinischen Versorgung im BMG-geförderten Vaskulitis-Zentrum verknüpft werden. International konzertierte Studienergebnisse konnten den Krankheitsverlauf mildern, diagnostisch mit der Früherkennung und therapeutisch mit innovativen Behandlungsstrategien. Dieser Erfolg beruhte auf der weitgehenden Entschlüsselung immunpathogenetischer Wege. So sind mittlerweile auch bei Schwersterkrankten langfristige Remissionen möglich. Heute häufiger vorkommende chronisch-rezidivierende Verlaufsformen haben zu einer zunehmenden Prävalenz geführt und bedürfen einer langfristigen Beobachtung, z. B. in der Rheumatologie.

 

Wie gestaltete sich die Situation der Rheumatologie in Deutschland vor 20 Jahren?

Prof. Gross: Bis in die 80er-Jahre war die Rheumatologie ein kleines Teilgebiet der Inneren Medizin. Ausbildungsstätten waren rar, oft in Rheumakliniken von „Bädern“, im rehabilitativen Bereich angesiedelt und seltener in Unikliniken oder Allgemeinkrankenhäusern vertreten. Die Wissenschaft und Forschung wurden eher klein geschrieben, die Zahl von Rheumatologen war überschaubar. Das Krankheitsspektrum war deutlich schmaler als heute. Systemerkrankungen („Kollagenosen“) wurden „als immunologisch“ angesehen und in universitären Zentren versorgt. Die für eine akademische Ausbildung somit eher ungünstigen Bedingungen in der damaligen Rheumatologie erschwerten es, mit anderen internistischen Schwerpunkten auf Augenhöhe zu kommen. So war es den Kollegen nur vereinzelt möglich, mit der wissenschaftlich orientierten Rheumatologie im Ausland zu konkurrieren.
Das Forschungsministerium (BMFT) erkannte die prekäre Situation und initiierte Mitte der 80er eine großzügige Forschungsförderung, zunächst mit den „Regionalen kooperativen Rheumazentren“, mehr epidemiologisch orientiert, später mit Entzündungsforschung an den Lehrstühlen. Zur Unterstützung der Vorhaben hatte das Forschungsministerium die Position einer Wissenschaftskoordinatorin und eine Geschäftsstelle in Berlin geschaffen. Wie unschätzbar wichtig diese Entscheidung für den Erfolg der Forschungsförderung war, wurde erst im Verlauf erkannt. Mit Ende der Förderung war damit zu rechnen, dass diese Strukturen nicht von unseren Trägern übernommen werden, nach der bekannten „Verstetigungsproblematik“ bei öffentlichen Forschungsförderungen. Das führte dann zu den Ideen, die im Nachfolgenden vorgestellt werden.

 

Welche Motivation und welche Ziele verbanden Sie mit der Gründung der Rheumatologischen Fortbildungsakademie vor 20 Jahren?

Prof. Gross: Medizinisch-wissenschaftliche Gesellschaften sollten grundsätzlich neben dem Anspruch auf Spitzenforschung auch die Versorgungsleistung am Patientenklientel beachten. Allein die Weiter- und Fortbildung zur Immunpathogenese von Rheumaerkrankungen ist Grundlage für das Verständnis komplizierter werdender Behandlungsarten.
Die Motivation zur Gründung der Fortbildungsakademie basierte primär darauf, die Fortbildung unserer Mitglieder zu optimieren. Auch wenn es klassische Fortbildungsangebote im Rahmen der Jahrestagungen gab, waren diese von der Pharmaindustrie und einem Kongressbüro organisiert und finanziert. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Inhalte führte bei Patienten zu einer besorgt-kritischen Haltung.
Unsere Motivation zur Gründung beruhte zudem auf der genannten „Verstetigungsproblematik“. Wenn nach Auslaufen der BMFT-Förderung die Eigner der Kliniken und Institute die finanzielle Übernahme ablehnen, würden auch die Positionen des Wissenschaftskoordinators und der Geschäftsstelle wegfallen. Es bestand im Vorstand Konsens, dass beide auch nach Ende der BMFT-Förderung in der Gesellschaft weiter Bestand haben sollten.
Die finanzielle Selbständigkeit der wissenschaftlichen Gesellschaft könnte mit der bewährten BMFT-Struktur die Effizienz verbessern. Die zeitgemäße Neuordnung der Fortbildungen bei den DGRh-Jahrestagungen und anderen Veranstaltungen war zielführend. Die Vision einer wissenschaftlich überragenden Fortbildungsstruktur im Mantel der DGRh-eigenen finanzaktiven GmbH war die uns treibende Grundidee zur Realisierung der heutigen „Rheumaakademie“.

 

Mit welchen Herausforderungen sahen sich die Beteiligten bei den ersten Schritten zur Gründung der Akademie konfrontiert und wie wurden diese überwunden?

Prof. Gross: Anfängliche Skepsis zur Rechtssituation beruhte auf der Sorge, dass ein gemeinnütziger Verein, die wissenschaftliche Gesellschaft DGRh, nicht befugt sei, eine gewinnorientierte GmbH zu gründen beziehungsweise zu führen. Diese länger diskutierte Grundsatzfrage wurde juristisch geprüft und zu unseren Gunsten positiv beantwortet.

Auch die anfangs kritischen Einwände der Industrie konnten ausgeräumt werden. Die bisherige Gesellschaft, die die nichtwissenschaftliche Organisation unserer Tagungen übernommen hatte, stimmte der nicht weiter vorgesehenen Verlängerung der Verträge zu. Somit konnte die Idee zur Gründung der GmbH zügig vorangebracht werden.

Im Vorstand wurde die neue Rechtssituation vorgestellt, im Protokoll der Schriftführerin festgehalten, die Satzungsänderung beschlossen und dem anwesenden Anwalt und Notar zur Eintragung in Auftrag gegeben.

 

Wie sehen Sie die Rolle der Rheumaakademie und deren Beitrag zur rheumatologischen Versorgung?

Prof. Gross: Die Rheumaakademie ist heute „das“ Fortbildungsorgan der Gesellschaft und zwar nicht nur für ausgebildete Ärzte, auch für Kollegen in Ausbildung, Medizinische Fachangestellte und vielleicht künftig auch für Patienten („Patientenschulung“) und interessierte Allgemeinmediziner. Darüber hinaus könnte für die Fachassistenz aus Laborpraxen (Rheumatologen) und für Pflegekräfte aus Rheumakliniken ein Weiterbildungsprogramm geschaffen werden.

 

Welche persönlichen Highlights oder besonderen Momente verbinden Sie mit der Rheumaakademie?

Prof. Gross: Der Vorstandsbeschluss, die GmbH zu gründen, kam zum Ende meiner Amtszeit als Präsident und war für mich „das Highlight“, verbunden mit einer sehr großen Erleichterung, es noch geschafft zu haben.

 

Was hat sich seit der Gründung in der rheumatologischen Versorgung in Deutschland aus Ihrer Sicht geändert?

Prof. Gross: Die öffentliche Wahrnehmung unserer Gesellschaft hat sich in dem beschriebenen Zeitraum grundlegend verändert. Die Namensänderung in „Rheumatologie und klinische Immunologie“ bringt es auf den Punkt. Im Praxisalltag geht es mittlerweile um bedeutend mehr als um „die Mechanik des Bewegungsapparates“. Moderne Immundiagnostik und Immuntherapien gelten zunehmend als Präzisionsmedizin, die auch schon länger in der Alltagsroutine angekommen ist. Nicht selten ist diese Innovation auch beispielgebend für andere Teilgebiete und Gebiete.

Die Intensivierung epidemiologischer und immunologischer Forschung durch die BMFT-Förderung hat somit beachtliche Fortschritte in unserem Fachgebiet erbracht. Die Rheumaakademie gehört als Folgestruktur und Multiplikator mit zu den „Gewinnern“ dieser Entwicklung. Ohne die neuen organisatorischen Strukturen, die im Rahmen der Bundesförderung vorgegeben waren, wäre vermutlich die Vision einer Rheumaakademie weiterhin eine Traumvorstellung.

„Unser Ansehen“ ist mit der Anerkennung von klinischen und wissenschaftlichen Leistungen der Spitzenkräfte unsrer Gesellschaft verknüpft: So wurden in der letzten Dekade zwei Rheumatologen zu Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) berufen: die Professorin Elisabeth Märker-Hermann und der Professor Ulf Müller-Ladner. Eine sehr große Auszeichnung und Ehre, auch für unsere Gesellschaft! Zudem wurden mehrere Kollegen in den elitären Kreis der „ACR-Master“ gewählt, eine hohe Anerkennung der amerikanischen Rheumagesellschaft. Mit der Übertragung der EULAR Präsidentschaft wurden zudem mehrere Kollegen geehrt. Diese Auszeichnungen zusammengenommen sind sichtbare Zeichen der Wertschätzung.

 

Was wünschen Sie der Rheumaakademie für die nächsten 20 Jahre?

Prof. Gross: Weiterhin gute Arbeit in der Fort- und Weiterbildung und Unterstützung von Forschungsvorhaben.

Foto: © Rheumaakademie_csb-Leipzig

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